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Angaben zur Quelle [Bearbeiten]

Autor     Bernd W. Seiler
Titel    Der Schelm, der nur noch gibt, was er hat. Adolph von Knigge und die Tradition des Schelmenromans
Sammlung    Dichtung, Wissenschaft, Unterricht. Rüdiger Frommholz zum 60. Geburtstag
Herausgeber    Friedrich Kienäcker, Peter Wolfersdorf
Ort    Paderborn, München, Wien, Zürich
Verlag    Schöningh
Jahr    1986
Seiten    300-322
ISBN    3-506-94445-2
URL    https://pub.uni-bielefeld.de/luur/download?func=downloadFile&recordOId=1782316&fileOId=2313789

Literaturverz.   

nein
Fußnoten    nein
Fragmente    7


Fragmente der Quelle:
[1.] Ts/Fragment 035 05 - Diskussion
Zuletzt bearbeitet: 2014-09-14 19:17:45 Schumann
Fragment, Gesichtet, SMWFragment, Schutzlevel sysop, Seiler 1986, Ts, Verschleierung

Typus
Verschleierung
Bearbeiter
fret
Gesichtet
Yes
Untersuchte Arbeit:
Seite: 35, Zeilen: 5-10, 20-24, 26-32
Quelle: Seiler 1986
Seite(n): 300, 301, Zeilen: 300: 4-9, 15-21, 26-31 - 301: 1-10
Schelme täuschen vor, was nicht vorhanden ist. Zweck der Täuschung kann auch sein, gerade nichts vorzutäuschen, und Täuschung ist ferner das Tiefstapeln. Die Redensart „Ein Schelm gibt mehr, als er hat“ ist bereits im 18. Jahrhundert nachgewiesen. Damals noch vor allem auf die Bewirtung von Gästen bezogen, wurde sie bald auf andere Zusammenhänge übertragen.

[...]

Die Pikaros des spanischen 16. und 17. Jahrhunderts gehören aufgrund ihrer Herkunft und Verhältnisse zu den underdogs, den Deklassierten. Sie gelangten nie an die Sonne, wenn es ihnen nicht gelegentlich gelänge, etwas zu scheinen, was sie nicht sind, wenn sie sich nicht durch Täuschung den einen und anderen Vorteil verschafften, den ihnen das um Gerechtigkeit unbekümmerte Urteil der Geburt verwehrt hat.

Lazarillo de Tormes benötigt seine ganze Listkunst, um nur seinen Bauch zu füllen. Nach und nach bekommt er so viel Geld zusammen, dass er sich „fein ehrlich“ ausstaffieren kann. Damit - Kleider machen Leute, damals erst recht - gelingt ihm der Eintritt in die Gesellschaft der „ehrlichen“ Leute.35 Sie nehmen ihn jedoch nicht wirklich auf. Die Welt bleibt ungerecht. Lazarillo muss eine nicht ganz so ehrliche Frau in Kauf nehmen, die Magd eines Priesters, und muss zu dessen Gunsten [einen Ehemann spielen, den jeder verhöhnt.]


35 Leben und Wandel Lazaril von Tormes, Und Beschreibung, was derselbe für Unglück und Widerwärtigkeit ausgestanden hat [1554; dt. 1614], hrsg. v. Manfred Sestendrup, Stuttgart: Reclam 1979 [= Reclam UB 1389], S. 88.

[Seite 300]

Wenn jemand zum Ausdruck bringen möchte, daß er sich um eine Sache nach besten Kräften bemüht hat und mehr als das Geleistete redlicherweise nicht anbieten kann, so sagt er unter Umstanden: "Ein Schelm gibt mehr, als er hat". Nachgewiesen ist diese Redensart bereits im 18. Jahrhundert, damals noch bevorzugt auf die Bewirtung von Gästen bezogen, von der aus sie sich aber bald auf andere Zusammenhänge übertragen findet. [...] Die literarischen [Schelme] jedenfalls, von denen hier die Rede sein soll, scheinen sich in dieser Hinsicht auf den ersten Blick auch zumeist ganz sprichwörtlich zu verhalten, ihre Umwelt wirklich bevorzugt dadurch hereinzulegen, daß sie etwas Vortäuschen, was nicht vorhanden ist. Doch bei genauerem Hinsehen kann man auch gewahr werden, daß dies nicht immer so ist oder daß der Zweck solcher Täuschung auch sein kann, im wesentlichen gerade nichts vorzutäuschen oder gar weniger zu scheinen, als man ist, [...]

Mehr zu geben, als man zu geben hat, das ist zunächst einmal und ganz besonders das Täuschungsprinzip der Helden des frühen, des ursprünglichen Schelmenromans des spanischen 16. und 17. Jahrhunderts. Sie, die Pikaros, gehören aufgrund ihrer Herkunft und Verhältnisse ja unwiderruflich zu den Deklassierten ihrer Gesellschaft und müßten für immer im Schatten stehen, wenn es ihnen nicht hier und da gelänge, etwas zu scheinen, was sie nicht sind, und sich so den einen und anderen Vorteil zu verschaffen. Noch nicht so ganz gilt das vielleicht für den Lazarillo de Tormes, der zunächst einmal überhaupt nichts

[Seite 301]

zu geben hat, sondern vielmehr seinen ganzen Witz benötigt, um nur satt zu werden. Immerhin: sein endliches Auskommen findet er, weil er nach und nach so viel Geld zusammenstoppeln kann, daß er sich - Kleider machen Leute je früher je mehr - "fein ehrlich" ausstaffieren kann und damit in den Besitz der Eintrittskarte für die Gesellschaft der ordentlichen, der 'ehrlichen' Leute gelangt.1 Wirklich hinein kommt er jedoch nicht. Denn da diese Welt so ungerecht bleiben muß, wie sie eingerichtet ist, muß er zu dem ehrlichen Amt, das er erhält, auch eine nicht ganz so ehrliche Frau in Kauf nehmen, die allzu gebundene Magd eines allzu verbindlichen Priesters, und zu dessen Gunsten einen Ehemann spielen, über den jeder lacht.


1. Leben und Wandel Lazaril von Tormes. Und Beschreibung, was derselbe für Unglück und Widerwärtigkeit ausgestanden hat (1554 / verdeutscht 1614). Hrsg. von Manfred Sestendrup. Stuttgart 1979 (Reclam UB 1389). S. 88.

Anmerkungen

Ohne Hinweis auf die Quelle.

Sichter
Schumann


[2.] Ts/Fragment 036 01 - Diskussion
Zuletzt bearbeitet: 2015-06-26 17:12:53 Stratumlucidum
Fragment, Gesichtet, SMWFragment, Schutzlevel sysop, Seiler 1986, Ts, Verschleierung

Typus
Verschleierung
Bearbeiter
Schumann
Gesichtet
Yes
Untersuchte Arbeit:
Seite: 36, Zeilen: 1-2
Quelle: Seiler 1986
Seite(n): 301, Zeilen: 6-14
[Lazarillo muss eine nicht ganz so ehrliche Frau in Kauf nehmen, die Magd eines Priesters, und muss zu dessen Gunsten] einen Ehemann spielen, den jeder verhöhnt. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sarkastisch die ihm oktroyierte Rolle fortzuspielen. Denn da diese Welt so ungerecht bleiben muß, wie sie eingerichtet ist, muß er zu dem ehrlichen Amt, das er erhält, auch eine nicht ganz so ehrliche Frau in Kauf nehmen, die allzu gebundene Magd eines allzu verbindlichen Priesters, und zu dessen Gunsten einen Ehemann spielen, über den jeder lacht. Entweder du machst uns den Schelm, den wir brauchen, wird ihm bedeutet, oder du bleibst das Nichts, das du bist, und weil Lazarillo sein Leben liebt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als mit sarkastischem Fatalismus die Rolle fortzuspielen, die in dieser Gesellschaft für ihn vorgesehen ist.
Anmerkungen

Fortsetzung von der Vorseite.

Ohne Hinweis auf die Quelle.

Sichter
(Schumann) Stratumlucidum


[3.] Ts/Fragment 036 04 - Diskussion
Zuletzt bearbeitet: 2015-07-22 09:43:53 Stratumlucidum
Fragment, Gesichtet, SMWFragment, Schutzlevel sysop, Seiler 1986, Ts, Verschleierung

Typus
Verschleierung
Bearbeiter
fret, Schumann
Gesichtet
Yes
Untersuchte Arbeit:
Seite: 36, Zeilen: 4-25, 101-103
Quelle: Seiler 1986
Seite(n): 301; 302; 303; 320, Zeilen: 301: 15-27, 31-36; 302: 1-7; 303: 9-13; 320: 31-33, 36
[2. Guzmán de Alfarache]

Ein halbes Jahrhundert später ist die Not gelindert. In Mateo Alemáns Guzmán de Alfarache (1599) sieht sich der Held von den Umständen weniger genötigt. Das reine Überleben ist nicht sein Ziel. Er will ein gutes Leben. Dies erreicht er allerdings nur, wenn er rücksichtslos vorgeht. Er gibt den ehrlichen Diener und stiehlt dabei, betrügt, spioniert und denunziert, dass es eine Lust hat. Alles weiss er zu seinem Vorteil zu nutzen. Dabei tritt er auf als wohlhabender und wohlerzogener Kavalier. Zu den Adeligen gehört er freilich nicht, und er kann dies auch nicht ändern. Er bleibt ausgeschlossen; mehr als das vorübergehende Spiel eines Arrivierten lässt das Fatum nicht zu. Sein Aufstieg vom Lastträger zum Landvogt erfolgt nur zum Schein.36

Moralisch unterlegen fühlt sich Guzmán seiner Umgebung nicht, denn da geht es nicht christlicher zu als unter seinesgleichen:

Wärst du ein Dieb von größerem Format, einer von denen, die dreihunderttausend oder vierhunderttausend Dukaten wert sind, und könntest du gleich ihnen Protektoren und Richter kaufen, so lebtest du wie ihresgleichen; aber die Unglücksraben wie du, die weder etwas vom Geschäft verstehen noch Zinsen oder Wechsel zu bekommen wissen, die keine Ahnung haben, wie man ungestraft mit großen Summen durchgeht und sich hernach mit wenig Geld versöhnt [...], solche Schelme sollten auf die Galeeren, man sollte sie hängen, aber nicht weil sie Diebe sind, dafür wird man ja heutzutage nicht mehr gehängt, sondern weil sie ihr Handwerk so schlecht verstehen.37

36 Mateo Alemán: Das Leben des Guzmán von Alfarache [1599; dt. 1605], in: Spanische Schelmenromane, hrsg. v. Horst Baader, 2 Bände, München: Hanser 1964, Bd. 1, S. 236.

37 Alemán, Guzmán von Alfarache, S. 568.

[Seite 301]

Nicht mehr ganz so von den Umständen genötigt, mehr schon als mahnendes Beispiel, ist Mateo Alemáns 'Gusmán' [sic] ein halbes Jahrhundert später der Schelm, der mehr gibt, als er hat. Er will nicht nur überleben, sondern wohlleben und muß sich deshalb rücksichtslos alles zunutze machen, womit er seine Mitmenschen täuschen kann. In der Maske des ehrlichen Dieners stiehlt und betrügt er, wo immer es ihm möglich ist, spioniert und denunziert, weiß auch Freundschaften, die ihm angetragen werden, stets zu seinem Vorteil zu nutzen und gibt sich besonders gern das Ansehen und Aussehen eines wohlhabenden, wohlerzogenen Kavaliers. Allerdings wirklich zu den Adligen zu gehören, zu der damals nicht nur so genannten besseren Gesellschaft, das liegt außerhalb seiner Möglichkeiten. Seine Lebensperspektive bleibt die eines Ausgeschlossenen, der sich schon glücklich schätzen darf, wenn er wenigstens vorübergehend den Arrivierten spielen kann.

[Der Mensch muß einem guten Pferde oder Hunde gleichen, er muß bei der richtigen Gelegenheit zeigen, daß er ausgezeichnet laufen kann, und sich außerhalb derselben gesetzt und ruhig verhalten,

resümiert er die Zwänge seiner Existenz.] Dabei fühlt sich Guzmán denen, für die er läuft, keineswegs moralisch unterlegen. Da oben, so weiß er, geht es nicht besser, nicht christlicher zu als unter seinesgleichen, sondern bloß raffinierter und im Ernstfall weniger gefährlich.

Wärst du ein Dieb von größerem Format, einer von denen, die dreihunderttausend oder vierhunderttausend Dukaten wert sind, und könntest du gleich ihnen

[Seite 302]

Protektoren und Richter kaufen, so lebtest du wie ihresgleichen; aber die Unglücksraben wie du, die weder etwas vom Geschäft verstehen noch Zinsen oder Wechsel zu bekommen wissen, die keine Ahnung haben, wie man ungestraft mit großen Summen durchgeht und sich hernach mit wenig Geld versöhnt (...) solche Schelme sollten auf die Galeeren, man sollte sie hängen, aber nicht weil sie Diebe sind, dafür wird man ja heutzutage nicht mehr gehängt, sondern weil sie ihr Handwerk so schlecht verstehen.2

[Seite 303]

Was hätte da also eine Schelmenliteratur bedeuten können, in der etwa - wie im GUZMÁN VON ALFARACHE - die Idee eines Aufstieges vom Lastträger über den Küchenjungen zum königlichen Bediensteten und wohlhabenden Landvogt nur entwickelt wird, um ihre Absurdität offenkundig zu machen?4

[Literaturnachweise Seite 320]

2. Mateo Alemán: Das Leben des Guzmán von Alfarache (1599/1605). In: Spanische Schelmenromane. Hrsg. von Horst Baader. München 1964. Bd. 1. S. 357 und 568.

[...]

4. Alemán, Guzmán von Alfarache, S. 236.

Anmerkungen

Die eigentliche Quelle, der der gesamte Abschnitt – stark umformuliert aber in Inhalt, Struktur und Zitatauswahl (mit identischer Auslassung) deutlich erkennbar – entnommen ist, bleibt ungenannt.

"Bd. 1. S. 357" in Endnote 2 der Quelle bezieht sich auf das eingerückte Alemán-Zitat in eckigen Klammern auf S. 301, das vom Verf. nicht übernommen und daher von ihm auch nicht referenziert wird.

Sichter
(fret) (Schumann) Stratumlucidum


[4.] Ts/Fragment 037 14 - Diskussion
Zuletzt bearbeitet: 2015-06-26 17:38:00 Stratumlucidum
Fragment, Gesichtet, SMWFragment, Schutzlevel sysop, Seiler 1986, Ts, Verschleierung

Typus
Verschleierung
Bearbeiter
Schumann
Gesichtet
Yes
Untersuchte Arbeit:
Seite: 37, Zeilen: 14-22, 101-102
Quelle: Seiler 1986
Seite(n): 302; 320, Zeilen: 302: 8-21; 320: 34-35
Sein Held Buscón ist als Trickdieb hervorragend. Immer wieder fällt er aber zurück in den Stand eines kleinen Betrügers. Gegen Belohnung findet er selbst versteckte Kinder wieder auf. Er spricht wildfremde Bedienstete an, um für Dritte als jemand zu gelten, der sich Personal leisten kann. Er schickt sich selber Schuldscheine und will damit den Eindruck erwecken, er habe Geld verliehen. Aber immer wird er durchschaut und gestellt.38 Auch er bringt es über die von der Geburt festgelegte Sozialordnung nicht hinaus; unerbittlich verfolgt ihn der Makel niederer Herkunft.

38 Francisco de Quevedo: Das Leben des Buscón [1626], in: Spanische Schelmenromane, Bd. 2.

[Seite 302]

Schlecht in diesem Sinne versteht ein Handwerk auch Quevedos 'Buscon', obwohl er als Trickdieb so hervorragend ist, daß sich selbst Adlige etwas darauf zugute halten, an seinen Streichen teilzunehmen. Sein soziales Schicksal bleibt es doch, immer wieder zurückzufallen in den Stand eines kleinen Betrügers, der gegen Belohnung Kinder wieder auffindet, die er vorher selber versteckt hat, der ihm wildfremde Bedienstete anspricht, um von fern für jemand zu gelten, der über Personal verfügt, der sich selber Schuldscheine zustellt, um den Eindruck zu erwecken, er habe Geld verliehen, und der noch von Mal zu Mal durchschaut, entlarvt, verprügelt wird, mag er von seinen Fähigkeiten her den anderen noch so überlegen sein.3 Denn reüssieren kann und darf auch er nicht in dieser von Geburtsvorrechten bestimmten Sozialordnung, in der ihn der Makel seiner Herkunft unerbittlich verfolgt, und sei es nur, daß es ihm selbst im entscheidenden Moment an der letzten Frechheit fehlt, ihn vor sich und den anderen vergessen zu machen.


[Anmerkungen Seite 320]

3. Francisco de Quevedo: Das Leben des Buscón (1626). In: Spanische Schelmenromane. Bd. 2.

Anmerkungen

Ohne Hinweis auf die Quelle.

Sichter
(Schumann) Stratumlucidum


[5.] Ts/Fragment 042 09 - Diskussion
Zuletzt bearbeitet: 2015-06-26 18:47:37 Stratumlucidum
Fragment, Gesichtet, SMWFragment, Schutzlevel sysop, Seiler 1986, Ts, Verschleierung

Typus
Verschleierung
Bearbeiter
Schumann
Gesichtet
Yes
Untersuchte Arbeit:
Seite: 42, Zeilen: 9-16
Quelle: Seiler 1986
Seite(n): 302, Zeilen: 21-34
Simplicissimus ist nur scheinbar der Sohn eines Spessartbauern, in Wahrheit aber adliger Abkunft. Da er das lange nicht weiss [(und sein Tiefstaplertum daher unbewusst erfolgt)], kommt er in die Lage, sein Glück nach Schelmenart zu versuchen. [Auch er kehrt am Schluss von seiner Lebensweise ab.] Unter den frühen Schelmen ist er der einzige, welcher der Welt wirklich überzeugend Ade sagt. Denn die Bekehrungsmoral des spanischen Schelmenromans lässt doch immer fühlen, dass der Verzicht erzwungen und aufgesetzt ist. Etwas von dieser Frechheit, dieser Selbstgewißheit hat dann allenfalls Grimmelshausens ’Simplicissimus’ im nun schon fortgeschrittenen 17. Jahrhundert. Aber der ist ja auch nur scheinbar der Sohn eines Spessartbauern und in Wahrheit adeliger Abkunft, weiß es nur lange nicht und kommt insofern nur aus einem schicksalhaften Versehen in die Lage, sein Glück nach Art der Schelme suchen zu müssen. Und vielleicht ist es kein Zufall, daß er unter den frühen Schelmen der einzige ist, der der Welt wirklich überzeugend Ade sagt und nicht mehr noch irgendwie an den Fuchs aus der Fabel erinnert, der von den Trauben, die ihm zu hoch hängen, sagen muß, sie seien zu sauer. Denn das bleibt hinter der obligaten Bekehrungs- und Verzichtsmoral des spanischen Schelmenromans doch fühlbar: daß es ein erzwungener Verzicht ist, ein Verzicht ohne Alternative, von den Autoren möglicherweise nur inszeniert, um die Darlegung der sozialen Ungerechtigkeit nicht bis ins Unversöhnliche, Verbotheischende sich zuspitzen zu lassen.
Anmerkungen

Ohne Hinweis auf die Quelle, die der Vf. an zwei Stellen ergänzt.

Sichter
(Schumann) Stratumlucidum


[6.] Ts/Fragment 043 01 - Diskussion
Zuletzt bearbeitet: 2014-09-14 19:19:11 Schumann
Fragment, Gesichtet, SMWFragment, Schutzlevel sysop, Seiler 1986, Ts, Verschleierung

Typus
Verschleierung
Bearbeiter
fret
Gesichtet
Yes
Untersuchte Arbeit:
Seite: 43, Zeilen: 1-4
Quelle: Seiler 1986
Seite(n): 303, Zeilen: 19-24
[Grimmelshausens Allegorie vom Ständebaum, die Geschichte von der] unüberwindlich glatten Stelle zwischen den unteren und den oberen gesellschaftlichen Rängen, weist auf diese hoffnungslos starre Ordnung hin: Sogar bei den Kriegsämtern kommen nicht die Tapfersten und Klügsten nach oben, sondern immer nur die nächstbesten Adeligen.53

53 Grimmelshausen, Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch, 1. Buch, XVII. Kap.

Und was hätte Grimmelshausens Allegorie vom Ständebaum noch sagen können, diese Geschichte von der unüberwindlich glatten Stelle zwischen den unteren und den oberen gesellschaftlichen Rängen, derzufolge nicht einmal bei den Kriegsämtern, von denen doch das Leben so vieler Menschen abhing, die Tapfersten und Klügsten nach oben kommen, sondern immer nur die nächstbesten Adligen?6

6. Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch (1969). Hrsg. von Jan H. Schölte. 3. Aufl. Tübingen 1954. 1. Buch. XVII. Kapitel.

Anmerkungen

Ohne Hinweis auf die Quelle.

Sichter
Schumann


[7.] Ts/Fragment 048 14 - Diskussion
Zuletzt bearbeitet: 2015-06-26 19:18:06 Stratumlucidum
Fragment, Gesichtet, SMWFragment, Schutzlevel sysop, Seiler 1986, Ts, Verschleierung

Typus
Verschleierung
Bearbeiter
Schumann
Gesichtet
Yes
Untersuchte Arbeit:
Seite: 48, Zeilen: 14-26, 108
Quelle: Seiler 1986
Seite(n): 317; 318; 319; 322, Zeilen: 317: 23-33; 318: 6-11, 15-17, 33-34; 319: 1, 4-7; 322: 32
In der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts bekommen Aufstiegsgeschichten oft unsympathische Züge. Es sind nicht mehr Schelme, sondern Schurken, die nach oben gelangen, und sie sind nicht listig, sondern miserable Karrieristen. Das zeigt sich etwa bei Balzac oder Stendhal, im 20. Jahrhundert dann bei der offenen Verhöhnung opportunistischer Aufsteiger wie in Heinrich Manns Untertan oder in Klaus Manns Mephisto. Aber auch jetzt gibt es noch Schelme, die der Welt mit List und Phantasie Möglichkeiten abgewinnen, die diese ihnen von sich aus nicht zugebilligt hätte. Weiterhin stehen sie am Rand der Gesellschaft und halten dadurch den Gewöhnlich-Normalen den Spiegel vor. Sozial unangepasst sind Figuren wie der brave Soldat Schwejk oder der Blechtrommler Oskar Matzerath, der den festen Vorsatz hat, nicht in diese Welt hineinzuwachsen.68

68 Günter Grass: Die Blechtrommel, Neuwied/Berlin: Luchterhand 1959.

[Seite 317]

[...] Nichts kennzeichnet das besser als die Tatsache, daß Karrieren wie die des Peter Claus in der Literatur des 19. Jahrhunderts mehr und mehr häßliche Züge bekommen, nicht mehr die von Schelmen, sondern die von Schurken sind, nicht mehr zeigen, wie gewitzt, sondern wie schlecht diejenigen sind, die nach oben kommen. Das beginnt schon im frühen 19. Jahrhundert bei Balzac oder Stendhal, steht im Hintergrund auch des deutschen Bildungsromans, demzufolge man besser ein unscheinbarer und wesentlicher als ein auffälliger und unwesentlicher Mensch ist, und mündet schließlich ein in die offene Verhöhnung des Erfolgsmenschen schlechthin wie in Heinrich Manns UNTERTAN oder in Klaus Manns MEPHISTO mit dem programmatischen Untertitel ROMAN EINER KARRIERE. [...]

[Seite 318]

Was wird unter diesen Umständen aus dem Schelmenroman? Oder besser: was wird aus den literarischen Figuren, die der Welt mit Phantasie und sympathischer Verschlagenheit eine Daseinsmöglichkeit abgewinnen, die ihnen normalerweise nicht zugebilligt wird? Es gibt sie noch, es gibt sie sogar öfter als früher, aber sie stehen wieder dort, wo sie ursprünglich einmal gestanden haben: am Rand der Gesellschaft, in der Rolle von Außenseitern. [...] Als Schelme geben sie eher weniger, als sie haben, bewahren nur, was sie sind, oder versuchen zu werden, was sie sein möchten, und halten den anderen, den Gewöhnlichen, Angepaßten, gerade darin den Spiegel vor.

[...]

Eine Bewegung weg vom gesellschaftlich Normalen, die Verweigerung des Sich-Anpassens kennzeichnet aber nicht nur die Künstler-Schelme, sondern auch Figu-

[Seite 319]

ren wie den braven Soldaten Schwejk oder den Blechtrommler Oskar Matzerath. [...] Vielmehr ist es sein fester Vorsatz gewesen, nicht in diese Welt hineinzuwachsen, wortwörtlich nicht, um nicht, wie er sagt, eines Tages als "einszweiundsiebzig großer, sogenannter Erwachsener mit einer Kasse klappern zu müssen".33


[Anmerkungen Seite 322]

33. Günter Grass: Die Blechtrommel, Neuwied/Berlin 1959. S. 3 und 64.

Anmerkungen

Der Inhalt des Absatzes ist aus der Quelle kompiliert, ohne dass auf diese hingewiesen wird.

Sichter
(Schumann) Stratumlucidum