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Typus
Verschleierung
Bearbeiter
Graf Isolan
Gesichtet
Yes
Untersuchte Arbeit:
Seite: 53, Zeilen: 1-30, 101-103, 105-114
Quelle: Krumeich 1993
Seite(n): 16, 17, 19, 20, Zeilen: 16:34-43; 17:14-27; 19:31-43 - 20:1-3
[In der Entwicklung des alltagsgeschichtlichen Trends zu einer Wissenschaft ist vor] allem die beeindruckende Studie von Ute Daniel über die Frauen in der deutschen Kriegsgesellschaft erwähnenswert.110 Es ist eine besonders gelungene Synthese von sozialgeschichtlicher Forschung mit einer neuen Sensibilität für die Alltagsgeschichte im Krieg. Sie beschreibt u. a., wie sich das Fehlen der Väter auf die Erziehung und das Selbstbewusstsein der Arbeiterjugend auswirkte, welche neuen Rollen den Müttern zufielen und wie sich die Emotionalität der Familienbeziehung ebenso wie die Einstellung zur Sexualität veränderte. Bei dieser auf allen Ebenen angestrebten Individualisierung des Kriegserlebnisses spielt konsequenterweise auch die Bildlichkeit eine wichtige Rolle. Während sich in den wissenschaftlichen Arbeiten der 60er und 70er Jahre ein geradezu systematischer Verzicht auf Bildquellen feststellen lässt, werden heutzutage wesentlich stärker Bildquellen aller Art miteinbezogen. Diese Tendenz ist sehr deutlich in dem Bildband von Jay M. Winter, „The Experience of World War I“ (Cambridge 1988), erkennbar.111 Hier wird zwischen dem Krieg der Soldaten, dem der Generäle und dem der Zivilisten unterschieden. Lebenswelten und Kriegserfahrung werden sowohl differenziert als auch in einer neuen Synthese betrachtet.

Ein unerschöpfliches Thema zeitgemäßer Mentalitäten-Erforschung ist das Zusammentreffen von Merkmalen in gesellschaftlichen Mythen mit modernen radikalen Gedankengängen.112 Die sorgfältige, kritische Erforschung des Langemark- [sic!] und Verdun-Mythos zeigt deren innige Verbindung mit Propaganda, Ideologie und politischer Aktion. Hüppaufs innovatorisches Konzept des „wort- und ideenarmen Mythos“ führt unmittelbar zur Ikonographie des ebenso gefährlich wie faszinierend ridikülen „Stahlblicks“ der Frontkämpfer in der Jüngerschen oder der primitiveren Schauweckerschen Variante. An das Faszinosum einer „Mentalität der leeren Horizonte“, das die faschistischen Mordprogramme aufgriffen, knüpft die unbegreifbare, aber erlebte Destruktivität des Krieges an. Im Nationalsozialismus wurde die Umstrukturierung der kollektiven Mentalitäten endgültig vollzogen.113 Die Besonderheit und gleichzeitige Attraktivität des Nationalsozialismus war die Mischung von kühner, revolutionärer Weiterführung bestehender gesellschaftlicher Mythen und kollektiver Überzeugungen mit [einer opportunistischen Übernahme vorherrschender Meinungen.]


110 Ute Daniel: Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 84), (Diss. phil.), Göttingen 1989; vgl. auch: Peter Knoch: Kriegsalltag. Die Rekonstruktion des Kriegsalltags als Aufgabe der historischen Forschung und Friedenserziehung, Stuttgart 1989.

111 Erschienen im Bertelsmann Verlag, Gütersloh 1993; vgl. auch: J. M. Winter: Kriegsbilder: Die bildende Kunst und der Mythos der Kriegsbegeisterung, in: Interdisziplinäre Studien, hrsg. von M. van der Linden, G. Mergner, 1991, S. 89-112.

112 In dieser Hinsicht ist das sehr literarische Buch von Modris Eksteins: Tanz über Graben. Der Erste Weltkrieg und die Geburt der Moderne, Reinbek 1990, vorbildlich.

113 Vgl. zu dieser ebenfalls für Mentalitäten zentralen Dimension den wegweisenden Aufsatz: Ulrich Raulff: Clio in den Dünsten. Über Geschichte und Gerüchte, in: Merkur 44. Jg. (1990), H. 6, S. 461-472; vgl.: Arthur Ponsonby: Lügen in Kriegszeiten, Berlin 1930, eigentlich eine Kritik der Propaganda, zeigt aber deren Wirksamkeit besonders über die gezielte Aufnahme von Gerüchten. Vgl. auch Bedrich Loewenstein: Annäherungsversuche. Geschichte und Psychologie, Pfaffenweiler 1992; sowie den Sammelband: Mentalitäten-Geschichte. Zur historischen Rekonstruktion geistiger Prozesse, hrsg. von U. Raulff, Berlin 1987.

[Seite 16]

36 [...]

Was die Entwicklung des alltagsgeschichtlichen Trends hin zu historischer Wissenschaft angeht, so ist hier vor allem die beeindruckende Studie von Ute Daniel über die Frauen in der deutschen Kriegsgesellschaft38 zu erwähnen, insbesondere wegen der gelungenen Synthese von sozialgeschichtlicher Forschung und einer neuen Sensibilität für die Geschichte des Alltags und des erlebten Kriegs. Die Beschreibung beispielsweise, wie sich das Fehlen der Väter auf die Erziehung und das Selbstbewußtsein der Arbeiter-Jugendlichen auswirkte, welche neuen Rollen den Müttern tatsächlich zufielen, wie sich die Emotionalität der Familienbeziehung genau so veränderte wie etwa die Einstellung zur Sexualität — all dies sind forschungsmäßig äußerst perspektivische

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Ergebnisse, die auch in Ute Daniels Beitrag zu diesem Band noch einmal kondensiert und weiter ausgearbeitet werden. [...]

Es ist interessant und konsequent, daß mit dieser auf breiter Ebene angestrebten Re-Individualisierung des Kriegserlebnisses auf allen Ebenen auch die Bildlichkeit anfängt, eine wichtige Rolle zu spielen. Während sich bei den wissenschaftlichen Arbeiten der 60er und 70er Jahre ein geradezu systematischer Verzicht auf Bildquellen feststellen läßt (Bildbände wie der von Dollinger waren von vornherein nicht für ein wissenschaftliches Publikum gedacht), so kann man heute doch eine stärkere Einbeziehung von Bildquellen aller Art feststellen, auch bei Arbeiten von vergleichsweise hohem wissenschaftlichen Niveau. Diese Tendenz scheint mir am deutlichsten erkennbar in dem Bildband von Jay M. Winter, „The Experience of World War I" (Cambridge 1988), dessen deutsche Ausgabe gerade vorbereitet wird.43 Hier wird systematisch unterteilt zwischen dem Krieg der Soldaten, dem der Generale und dem der Zivilisten, was wohl auch für einige Zeit der heuristisch fruchtbarste Ansatz sein dürfte, um Lebenswelten und Kriegserfahrung sowohl auszudifferenzieren als auch wieder zu einer neuen Synthese zu vereinen.

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Die sorgfältige ideologiekritische Erforschung des Langemarck- und Verdun-Mythos zeigt deren innige Verschränkung mit Propaganda, Ideologie und politischer Aktion. Wie in der Konstruktion gesellschaftlicher Mythen gezielt eingesetzte (aber auch einfach überlebende) Atavismen zusammentreffen mit radikal modernen Gedankengängen, ist ein großes Thema zeitgemäßer Mentalitäten-Erforschung.52 Hüppaufs innovatorisches Konzept des „wort- und ideenarmen Mythos“ führt unmittelbar zur verstehenden Ikonographie des ebenso „gefährlichen" wie faszinierend ridikülen „Stahlblicks“ der Frontkämpfer in ihrer Jüngerschen oder — primitiver — Schauweckerschen Variante. Über das Faszinosum einer „Mentalität der leeren Horizonte“, in der die faschistischen Mordprogramme anknüpfen an die unbegriffene aber „erlebte“ Destruktiviät des Krieges, weist der Autor auf die im Nationalsozialismus vollzogene Umstrukturierung der kollektiven Mentalitäten hin. Das war ja die Besonderheit und gleichzeitig auch die Attraktivität des

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Nationalsozialismus: die Mischung von kühner — „revolutionärer" — Weiterführung bestehender gesellschaftlicher Mythen und kollektiver Überzeugungen bei opportunistischer Übernahme herrschender Meinungen.


36 Kriegsalltag. Die Rekonstruktion des Kriegsaltags [sic] als Aufgabe der historischen Forschung und Friedenserziehung, hrsg. von P. Knoch, Stuttgart 1989.

38 U. Daniel, Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1989.

43 Im Bertelsmann Verlag, Gütersloh 1993; vgl. auch: J. M. Winter, Kriegsbilder: Die bildende Kunst und der Mythos der Kriegsbegeisterung, in: Kriegsbegeisterung und mentale Kriegsvorbereitung, S. 89-112.

52 In dieser Hinsicht ist das oft sehr literarische Buch von M. Eksteins, Tanz über Gräben. Der Erste Weltkrieg und die Geburt der Moderne, Reinbeck 1990, vorbildlich.

54 Vgl. zu dieser ebenfalls für Mentalitäten zentralen Dimension den wegweisenden Aufsatz: U. Raulff, Clio in den Dünsten. Über Geschichte und Gerüchte, in: Merkur 44 (1990), Heft 6, S. 461-472, besonders S. 464 den Hinweis auf Marc Blochs Bemerkungen zu den „fausses nouvelles de guerre" von 1919; vgl.: A. Ponsonby, Lügen in Kriegszeiten, Berlin 1930, eigentlich eine Kritik der Propaganda, zeigt aber deren Wirksamkeit besonders über die gezielte Aufnahme von Gerüchten.

Anmerkungen

Art und Umfang der Übernahme sind ungekennzeichnet. Setzt die in Uo/Fragment_052_06 begonnene ungekennzeichnete Übernahme der Krumeichschen Beschreibung wegweisender alltagsgeschichtlicher Untersuchungen zum 1. Weltkrieg fort.

Sichter
(Graf Isolan), Sotho Tal Ker